Kaum etwas bereitet Pep Guardiola so viel Freude wie eine Taktiktafel und Fragen darüber, wie er das Bollwerk von Hertha BSC Berlin am Samstag überwinden konnte.
Genau das war es dann auch, was ihn beim FC-Bayern-Fanclub der “Bayern Bazis” in Vilsbiburg erwartete. Denn wie in jedem Jahr schwärmten die Bayern Ende November aus, statteten einem der 4.600 Fanclubs einen Besuch ab und feierten zusammen mit den jeweiligen Fanclub-Mitgliedern zum Advent.
Der Coach landete in einer kleinen, sehr illustren Runde, in der sich schnell herauskristallisierte, dass insbesondere das Interesse an Guardiolas Taktiken riesig war. Genau dieses Phänomen korrespondiert mit etwas, das quasi Woche für Woche erlebbar ist: Denn die Zahl derer, die in Blogs, Foren oder anderen sozialen Netzwerken die Komplexität des Fußballs diskutieren, wächst stetig.
Vilsbiburg ist dafür ein großartiges Beispiel gewesen. Die Fans wollten beispielsweise die Gründe dafür wissen, warum der 44-Jährige zuletzt Jérôme Boateng im Mittelfeld spielen ließ (worauf Guardiola im Scherz die Achseln zuckte und sein Publikum wissen ließ, dass er sich auch gewundert habe, warum der nominelle Innenverteidiger im Mittelfeld spielte).
Außerdem ging es um die unterschiedlichen Rollen, in die Javier Martínez immer wieder schlüpft und darum, wie man eine Fünferkette (wie gegen Hertha) aushebeln könne, wenn einem mit Douglas Costa und Arjen Robben die vielleicht besten Dribbelkünstler fehlten. Für Guardiola war der Besuch jedenfalls absolut erfreulich, denn es zeigte sich, dass die taktischen Variationen bei den Fans längst angekommen waren – und auch verstanden wurden. Sollte der Katalane Twitter oder diverse Blogs von Taktik-Spezialisten verfolgen, dann wüsste er auch, dass die Gespräche über Taktiken im Fußball immer höher im Kurs stehen – und das auch auf wirklich hohem Niveau.
Immerhin hat Guardiola es geschafft, dass bei der Ankündigung der Aufstellung nicht sofort Unverständnis für die einzelnen Positionen aufbrandet – wie es vielleicht vor ein, zwei Jahren noch der Fall war. Mittlerweile erscheinen den Fans die Konzepte und Ideen Guardiolas nicht mehr nur “interessant”, sondern meistens auch plausibel. Ein großer Teil der Fans hat verinnerlicht, dass die Startelf keineswegs gleichzusetzen ist mit einem mehr oder weniger unverrückbaren Konstrukt auf dem Rasen. Vielmehr handelt es sich um eine Anfangs-Formation, die fortlaufend verändert wird, solange bis die Probleme bewältigt sind, die der jeweilige Gegner eben mit sich bringt.
Es ist auch längst in den Köpfen, dass die Charakteristika der Rivalen direkten Einfluss auf die Aufstellung haben oder dass auch Weltstars gerne einmal auf der Bank Platz nehmen dürfen (müssen), sei es aus taktischen Gründen oder im Sinne der Kräfteschonung, ohne dabei gleich auf irgendwelche Strafmaßnahmen schlussfolgern zu müssen. Guardiola steht eben keineswegs für die konventionelle Denke im Fußball.
Noch vor nicht allzu langer Zeit hatte man vielleicht über seine extravaganten Einfälle diskutiert, mittlerweile interpretieren die Fans fast immer das Richtige in seine Ideen hinein: Denn eine seiner Grundideen ist, die Vielfalt der taktischen Möglichkeiten auch zu nutzen. Vor einigen Tagen sagte David Luiz Folgendes: “Douglas Costa hat mir gesagt, dass er den Fußball jetzt viel besser versteht und ihn dank Pep mit völlig anderen Augen wahrnimmt.” Das ist keine Geschmacksfrage oder Diskussion, welche Art und Weise die effizienteste wäre, sondern vielmehr die Suche danach, das volle Potential zu nutzen, das eine Mannschaft mit sich bringt.
Was mir persönlich interessant erscheint ist, dass dieses Verständnis bei den Fans und Hobby-Analysten angekommen ist – und in den professionellen Medien aber sehr häufig noch Analyse auf Basis wesentlich konventionellerer Denke vorherrscht. Noch scheint es so, dass derjenige, der von der Norm stark abweicht, eher suspekt sein könnte, beispielsweise bei der Analyse der Anzahl der Spieler in der Defensive oder Offensive, der Anordnung auf dem Spielfeld, den Wechseln und diversen anderen von Guardiola aufgestellten, taktischen Spielregeln.
Vielleicht täusche ich mich (was mir sogar lieber wäre), aber ich werde den Eindruck nicht los, dass die Fans und Hobby-Analysten die taktischen Weiterentwicklungen des Trainers schneller annehmen und verstehen als die professionellen Medien.
Vielleicht war das in Vilsbiburg ja Zufall und das Produkt der Interessen der dortigen Fans speziell, aber vielleicht handelte es sich dabei auch um ein Symbol der Realität. Jedenfalls war der Besuch für Guardiola selbst eine wirklich gelungene Überraschung, die ihn sehr erfreute. Mit den Fans in direktem Kontakt über Taktik zu philosophieren war schließlich auch für ihn eine ganz neue und äußerst angenehme Erfahrung.
– Bilder: BILD Zeitung
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